Puh, was für ein Ritt! Ja, das war mein Tag im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach der obligatorischen Tasse Earl Grey bin ich mit dem Roller zur Grundschule und dann ins Büro gefahren. Dort war ich ein paar Stunden zum Arbeiten. Ich bin ein wenig vergesslich und hatte das Ladekabel für den Rechner letzte Woche vergessen. Also heute kein Homeoffice.
Auf dem Rückweg vom Büro ein Kind am Bahnhof eingesammelt und ab nach Hause.
Der Weltbeste hatte schon den Tisch gedeckt und ich konnte gleich zwei Stückchen der Zucchini-Quiche von gestern reinhauen. Bevor ich dann wieder den Roller schnappte und das jüngste Kind im Hort einsammelte.
Ich bin seit 8 Stunden auf den Beinen und unterwegs und habe bisher noch kein einziges Foto gemacht. Und das am 12. eines Monats.
Mir war klar, die Bilder bekomme ich voll, denn ich habe heute noch einiges vor.
Aber erst mal einen Kaffee auf der Terrasse. Zwei Minuten den Tag bequatschen. Man kommt als Eltern selten dazu sich über das Tagesgeschehen auszutauschen.
Ich möchte heute noch für ein Projekt eine Radtour machen und wir besprechen die ungefähre Route und wer wann wieder zu Hause ist. Der Weltbeste geht zurück ins Homeoffice und ich mache 95 Bilder, weil ich die Biene so wunderhübsch finde, die den Lavendel anscheinend sehr mag. Sie summt so laut wie eine dicke Hummel.
Nach dem Kaffee und den Bienenfotos sammle ich meine Radlsachen, fülle meine Wasserflasche und setze mich ins Auto. Nach 55 Minuten habe ich mein Ziel erreicht und hiefe mein Fahrrad vom Fahrradträger. Immer wieder eine Herausforderung mit meinem etwas in die Jahre gekommenen Arm.
Dann brauche ich etwa 5 Minuten, um mich zu orientieren. Nein, “fahren sie nach Osten” ist für mich keine hilfreiche Angabe der Navigationsapp. Wo ist denn dieses verdammte Osten?
Egal, nach einigem Auf und ab und links und rechts einmal Abbiegen, bin ich auf dem richtigen Weg. Ich suche nämlich die Quelle der Altmühl. Der Rinnsaal, der irgendwann zu einem richtig schönen Fluss wird.
Aber so einfach ist das gar nicht. Eigentlich gibt es drei Quellpunkte. Den Hornauer Weiher, den Hirschteich und die Erlachsiedlung. Die beiden letzten suche und finde ich.
So schön, wie de Hirschteich auch ist, hier kann ich nicht lange bleibend. Das Gewässer steht nahezu und die Mücken surren um mich, wie um gefundenes Fressen. Also radle ich zur nächsten Quelle, der Erlach Siedlung.
Ich folge der Beschilderung und fahre langsam auf einen Bauernhof zu. Dabei sehe ich anscheinend etwas planlos aus, denn die drei Frauen unterschiedlichen Alters nicken alle gleichzeitig mit dem Kopf in Richtung Wiese. Mir wird klar, dass ich wohl nicht die Erste bin, die die Altmühlquelle sucht. Eher im Gegenteil, das Nicken wirkte einstudiert und vielleicht auch etwas müde. Sie haben sicher schon viel zu oft den Weg zur Quelle gewiesen. Auf dem Bild sieht man es nicht, aber als ich dort bin, verstehe ich auch, dass einige Besucher vor mir sich offensichtlich nicht sehr rücksichtsvoll verhalten hatten: Die Quelle ist ringsum mit hübschem, rotweißem Absperrband abgegrenzt und das Land dahinter mit Schildern “Betreten verboten!” ausgestattet.
Das Wasser wirkt sauber und klar, es steigt eine kühle Brise von der Quelle auf. Und doch mag ich mich, aus oben genannten Gründen, nicht lange aufhalten. Ich folge der Navigationsapp und fahre ein paar Steigungen hinauf und viele Höhenmeter wieder hinunter. Irgendwann komme ich aus dem Wald heraus und folge der Straße. Bis diese Schäden aufweist, dann wechsle ich doch lieber auf den Radweg. Dieser ist übrigens ein Stückchen des mittelfränkischen Jakobsweges. Habe ich hiermit schon verraten, wohin es geht?
Immer wieder muss ich anhalten und Bilder machen. Der Himmel zeigt sich von seiner besten schauspielerischen Seite. Von hier ist es auch nicht mehr weit bis zu meinem nächsten Ziel.
Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal hier war. 2001 im August war ich das erste Mal hier. Damals als Tutorin von Student:innen aus Kalamazoo, Michigan. Wenig später wurde die ganze Welt erschüttert und die Amerikaner:innen und wir, ihre Betreuenden wurden komplett aus unserer kleinen, heilen Studienwelt herauskatapultiert. 2016 war ich auch noch mal hier. Als wir hier in der Nähe mir Oma, Opa und Onkel auf dem Bauernhof waren. Ich kann mich noch genau an den Geruch der Creme erinnern, die ich in dieser kleinen, alten Drogerie gekauft habe. Meine erste Kosmetik in einer Glasflasche.
Man konnte es sicher leicht erraten, ich befinde mich in Rothenburg ob der Tauber. Dieses kleine Städtchen mit seinen vielen, wunderschön bunten Häuschen.
Auch das ist Rothenburg: Käthe Wohlfahrts Weihnachtsdorf und der ganze Kitsch drum herum, der die Touristen aus den fernsten Ländern anzieht. Im Sommer kann ich dem Ganzen noch herzlich weniger abgewinnen, als in einem schneelosen Winter.
Ich fahre planlos ein bisschen durch die Gassen von Rothenburg. Während ich versuche, das Fahrrad halbwegs sicher über das Kopfsteinpflaster zu lenken, werde ich fast erschlagen von dem Duftpottpourri, das mir entgegenwabbert: Aus den dunklen Ecken der Stadt kriecht ein kühler, modriger Geruch empor, die Menschen, an denen ich vorbeikomme tragen einen wilden Mix aus unterschiedlichen Düften: Blumig, schwer und süßlich, herb oder schwitzig. Seufzend stelle ich fest, dass ich mich offensichtlich auch wieder an Düfte gewöhnen muss. Die Corona-Maske hatte sie alle nur noch gedämpft und gefiltert in meine Nase gelassen.
Statt mir, wie geplant ein Eis zu holen, trinke ich mein mitgebrachtes Wasser und finde einen ein Jahr über MHD Müsliriegel im Rucksack, den lasse ich mir erst mal schmecken. Nach den vielen ausgeschwitzten Kilometern ein Festmahl.
Der Rückweg kommt mir wesentlich kzer vor, als es der Hinweg getan hatte. Vielleicht liegt das daran, dass ich jetzt einen direkteren Weg gewählt hatte und weder weggeschwemmte Wege noch eine nach dem sturzfallartigem Regen gebildete Furth mir in den Weg floss. Oder der Müsliriegel war vielleicht ein Powerriegel?
Zurück am Auto schnalle ich das Rad wieder hinten drauf und google erst mal nach einem Supermarkt in der Nähe. Eines der Kinder bat um einen Bananeneinkauf. Man kennt das ja als Eltern: Hat man keine Banane zu Hause, ist es um die Welt beinahe geschehen, zumindest um den Weltfrieden ist es schlcht bestellt. Na gut, der Familienfrieden gerät in Schieflage. Kauft man aber ausreichend Bananen, so dass jeder in der Familie seinen Bananenhunger stillen kann, dann waren es ganz bestimmt zu viele Bananen, die auch noch alle gleichzeitig braun -zu braun- werden und zu Bananenbrot verarbeitet werden müssen.
Während ich so zurück durch die kleinen, mittelfränkischen Dörfer fahre und dabei laut Musik höre, gehen mir ganz unterschiedliche Dinge durch den Kopf: Weshalb ziehen so viele Menschen in die Stadt, wo es doch auf dem Land so gemütlich ist? Dieser Wegzug hat einen massiven Verfall alter Gebäude zur Konsequenz. Ich hatte schon fast Lust, eines der leerstehenden Wirtshäuser zu kaufen und wiederzubeleben. Aber nur fast. Ich bin selbst auf dem Dorf aufgewachsen und kann mir einfach nicht vorstellen, wieder unter der Kontrolle einer Dorfgemeinschaft zu stehen. Andererseits heißt es ja, es bräuchte ein Dorf, um Kinder sinnvoll groß zu bekommen.
Dann überlegte ich mir noch, ob ein Post als Abschiedsfest von der Grundschule Sinn macht. Die Jüngste hat ihre letzten beiden Wochen als Viertklässlerin und ich bin unglaublich froh darüber. Im September hat sie die Möglichkeit, noch einmal ein unbeschriebenes Blatt zu sein und sich so zu zeigen, wie sie sein möchte. Alles hinter sich zu lassen, was war, ist manchmal sehr befreiend.
Zu Hause wartet das große Kind mit einer geputzten Küche, gelegter Wäsche und einem riesigen Topf frisch gekochter Linsensuppe. Vielleicht brauche ich gar kein Dorf und es klappt auch so ganz gut?
Mehr Bilder des Tages gibt es bei Caro und meine 12v12 im Juli der vergangenen Jahre hier: 2020, 2019, 2016, 2015
Was für ein spannender Post in vielerlei Hinsicht! Altmühl: Erinnerungen an den toten “kleinen” Bruder, der sie mal ganz mit dem Rad abgefahren ist und begeistert war. Rothenburg: Eine Kindheitserinnerung, 75 Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt. Ferienende: Auch meine zweitjüngste Enkelin wechselt zur weiterführenden Schule, ganz alleine, ohne Freundin, auch weil sie ein unbeschriebenes Blatt sein will und offen für andere. Sie schafft das, denn sie hat mit fünf den Wechsel nach M. geschafft so wie ich mit neun den ins Rheinland. Und auch für deine Tochter bietet das viel. Machbar, wenn man Wurzeln und ein Nest hat.
Euch alles Gute! Vor allem erholsame Ferien!
Astrid
sehr humorvoll geschrieben .. ;)
habe mit Genuss gelesen
Erinnerungen an Rothenburg .. dort war ich als Kind/Jugendliche..
mit meinen Eltern per Fahrrad unterwegs
später noch mal mit meinen Kindern aber mit dem Auto ;)
einen kleinen Widerspruch sehe ich in deinem Post
warum ziehen so viele in die Stadt ..fragst du
und dann : Ich bin selbst auf dem Dorf aufgewachsen und kann mir einfach nicht vorstellen, wieder unter der Kontrolle einer Dorfgemeinschaft zu stehen.. ;)
vielleicht war es andern auch zu eng ?
Meist sind es aber wohl die fehlenden Arbeitsplätze ..
Es ziehen aber auch viele Familien wieder aufs Land eben weil man da die Kinder z.B. laufen lassen kann
weil die Nachbarn auch ein Auge drauf haben ..
wie schön dass deine Tochter dich mit Linsensuppe verwöhnt hat
liebe Grüße
Rosi